Michael Langfeld

„Ist das nicht irre?!“

Ein Leben im Zwiespalt

Ein lieber Nachbar und guter Freund, ein gern gesehener, anregender Gesprächspartner in einem gutbürgerlichen, gleichwohl urbanen Milieu. Ein belesener, geselliger Mensch, der sich gerne mit Freunden in den schönen Landschaften bewegte, die seine Heimatstadt umgeben und in deren Geschichte und Gegenwart er bestens „bewandert“ war. Er führte Menschen zusammen, gab Bücher heraus, bewahrte Dichter vor dem Vergessen, setzte sich für Verfolgte in aller Welt ein.

Die Freundschaft zu ihm wurde jedoch für alle, die ihn kannten und schätzten, eine Belastungsprobe.

In unzähligen Briefen zeigt der Freund eine andere Seite seiner Persönlichkeit. Geplagt von Schuldgefühlen und Ängsten, entwirft er eine Welt, in deren Mittelpunkt er selbst als Opfer steht. Zeichen, die seine Weltsicht bestätigen, findet er überall und in immer kürzerer Abfolge. „Ist das nicht irre!?“ – Dieser Satz fällt immer dann, wenn er neue Zusammenhänge zwischen den vom ihm wahrgenommenen Phänomenen entdeckt. Geschichte, Philosophie, Religion und Naturwissenschaften liefern das Material für ein geschlossenes System, das in seinem Kopf entstanden ist, und aus dem es keinen Ausweg mehr gibt.

Der Tarpäische Felsen, von dem aus im antiken Rom Todesurteile durch Hinabstoßen vollstreckt wurden, dient ihm hierfür als Sinnbild: Er ist in der Skizze das Opfer, das auf der Klippe steht und von der Horde zum Sprung genötigt wird.

Man kann das Bild ergänzen: Der Autor – auch der Leser – steht unten, sieht ihn verständnislos auf dem gefährlichen Punkt stehen, kann die Horde nicht erkennen, versucht ihn mit Argumenten auf einen sicheren Lebensweg zurückzuführen, denn er weiß, dass er ihn beim Sprung nicht auffangen kann.

Die Lektüre führt den Leser in eine Unwirklichkeit, die dennoch sehr real und täglich erfahrbar ist, wenn man die Perspektive wechselt.

Irre sind nicht nur die anderen!