Otto Winzen

Roter Granit

Leseprobe

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Als Kind hat sich jeder mal wie ein kleiner Gott gefühlt. Wenn er der Puppe den Kopf abriss, einen Spielkameraden kujonierte und anderes mehr.

Weil er der Stärkere war.

Was ihm die Eltern vielleicht über Gott erzählt hatten, empfand es zwar konträr dazu, aber für Reue war später noch Zeit oder auch nicht.

Das Gefühl des Triumphes, die Möglichkeit, jemanden zu erniedrigen, kann so prägend sein, dass man es nicht mehr missen mag.

Die Erfahrung totaler und totalitärer Macht, die den Unterdrückten ausschließt. Den Schwächeren nur akzeptiert, weil der ihm als Objekt dient.

Wieder und wieder. Tag für Tag.

Dann genügen keine Puppen mehr, keine Spielkameraden. Es bedarf der Menschen, die einen scheinbaren Makel haben, der nun „legitimiert“, sie schlecht zu behandeln. Als Akt notwendiger Bestrafung, da sie dem eigenen „Wertekanon“ nicht entsprechen und ihm auch niemals entsprechen werden können.

 

Das führt zu rassistischen Vorurteilen und Festlegungen. Zur Ausgrenzung von Minderheiten, geistig wie körperlich Behinderten zum Beispiel, bis zu kollektiv betriebenen politischen Ausgrenzungen.

Man will Gott sein, Gewalt gebrauchen, im Körperlichen wie im Seelischen. Am Ende steht die Vernichtung des als minderwertig oder feindselig erkannten Subjekts.

Der Rausch der „Überlegenheit“ wird zur Droge. Die Gewissheit, sich hemmungslos auszuleben, weil man es kann, wird als Glück erlebt, hinter der das übrige Leben meist als schal und langweilig zurücktritt.

Es bedarf nur noch einer Ideologie, um all das zur P icht zu erheben, gesellschaftlich, politisch, moralisch. Das Gefühl, einer Elite anzugehören, die die Welt rein erhält, darüber wacht, sich den Rausch aber mit möglichst vielen teilt.

Das sind nun die neuen Götter. Teil ewiger Größe und der gemeinsamen Aufgabe, als Arzt, Jurist, Pädagoge, Politiker, Soldat, Folterer und viele mehr.

Man steht morgens in der Gewissheit auf, das Richtige zu tun.

Doch stets gibt es Gegner.

Der Feind gebiert den Angriff, die Jagd, die Tat. Das kann irgendwann zu Alltag und Routine werden. Zum „rassisch motivierten Auftrag“, der sich im bürokratischen Akt verwirklicht.

In der Systematik eines Adolf Eichmann beispielsweise, der darin seine tiefste Befriedigung ndet: Im eingespielten Vollzug der Macht. Im System, das sich möglichst reibungslos vollzieht.

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